Aus dem Unternehmen

Die Zukunft des Bauens: Zwischen Verantwortung und Revolution

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25. September 2025
Lesedauer: 5 Minuten

Ein Gastbeitrag von Zukunftsforscher Kai Gondlach

Künstliche Intelligenz, Automatisierung, adaptive Architektur – die Bau- und Immobilienbranche steht weltweit vor einem Umbruch. Nicht nur in Österreich zeigt sich: Die Herausforderungen sind nicht nur technologischer, sondern vor allem gesellschaftlicher Natur.

 

Inmitten globaler Krisen und technologischer Umwälzungen gerät der Immobiliensektor zunehmend unter Druck. Nicht nur in Wien, Berlin oder Zürich, sondern auch im ländlichen Raum fehlen leistbare Wohnungen, während Baustellen teurer und Fachkräfte knapper werden. Die Bauwirtschaft spürt die Beben eines sich wandelnden Fundaments – doch mit den richtigen Weichenstellungen könnte aus dieser Krise eine neue Ära des Bauens entstehen.

Wende der Bauwirtschaft: Zwischen Profit und Gemeinwohl

Die Zeit des „Weiter wie bisher“ ist vorbei. Die goldene Phase des Immobilienmarkts – geprägt von günstigen Zinsen, hohem Investitionsvolumen und einem gewissen „Betongold“-Optimismus – hat tiefe Spuren hinterlassen. In Österreich fehlen heute laut unterschiedlichen Schätzungen mindestens 60.000 bis 150.000 leistbare Wohnungen; in der Schweiz bis zu 50.000 und in Deutschland ist es fast eine halbe Million. Infolge des starken Wachstums gerade in Ballungsräumen und des Einbrechens der Bautätigkeit nach der Pandemie könnte sich die Lücke, sollte sich nichts an den Rahmenbedingungen ändern, bis 2030 fast verdoppeln. Besonders für junge Menschen, Alleinerziehende und Geringverdiener, die hinzukommen, ist die Lage existenzbedrohend. Die Wohnkostenquote beträgt bei vielen Mieter:innen bis zu 30 Prozent, vor allem in städtischen Ballungszentren.

 

Gleichzeitig stehen viele Neubauprojekte still: Hohe Zinsen, gestiegene Baukosten, Lieferengpässe und die Zurückhaltung institutioneller Investoren haben eine Schockstarre ausgelöst und eine Konsolidierungswelle begünstigt. Laut einem kürzlich erschienenen Artikel im Kurier hat sich die Zahl der Wohnbaugenehmigungen in Wien innerhalb eines Jahres fast halbiert. Das ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem – es ist ein sozialer Sprengsatz.

 

Denn mit dem Rückzug des geförderten Wohnbaus und der Dominanz renditeorientierter Projekte droht sich die soziale Schieflage weiter zu verschärfen. Wenn Wohnen zum Luxus wird, verlieren Menschen nicht nur ihr Zuhause, sondern auch Vertrauen in die Politik und Gesellschaft. Der Nährboden für Populismus ist bereitet. Vielleicht steckt dahinter auch Kalkül.

Technologie als Chance – aber bitte mit Haltung

Die gute Nachricht: Noch ist es für viele nicht zu spät. Künstliche Intelligenz, robotische Bauverfahren, selbstheilende Materialien oder adaptive und energieautarke Gebäude sind keine fernen Zukunftsvisionen mehr, sie stehen vor dem Sprung in den Alltag der Branche. Gerade die DACH-Region, mit ihrer starken Ingenieurs- und Forschungstradition, kann hier Vorreiter werden. Nicht über Nacht, im zukünftigen Rückblick jedoch in unerwartet hohem Tempo.

 

Doch Technologien sind weder Selbstzweck noch Selbstläufer. Die zentrale Frage lautet: Wem nützt der Fortschritt? Wenn KI-gestützte Planung, 3D-Druck oder modulare Fertigung nur dazu dienen, Margen zu erhöhen, ohne gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, wird sich an der Wohnungsnot nichts ändern. Im Gegenteil: Die Branche riskiert, durch Regulierungen, politische Gegenbewegungen oder gesellschaftlichen Widerstand ausgebremst zu werden.

Von der Baustelle zum Bauökosystem

Die Zukunft des Bauens wird nicht stillstehen – sie wird zum Teil fliegen. Drohnenschwärme, die Bauteile montieren. Bio-Beton, der sich selbst repariert. Adaptive Gebäude, die sich an ihre Nutzer:innen in kurzer Zeit anpassen und die Energiebilanz in Echtzeit optimieren. KI-gestützte Planung, Konsistenzprüfung und Koordination im Bau und im Betrieb. Energieautarkie in Quartieren? Standard. Schon die Vorboten dieser Entwicklung wirbeln die etablierten Berufsbilder und -stände durcheinander. Es ist ein Dilemma: Massiv investieren oder den eigenen Job riskieren?

 

Mehr noch. Während heute noch Bauherren, Architekt:innen und Handwerker:innen mit dicken Ordnern, Bauzeitenplänen und unzähligen Abstimmungsrunden beschäftigt sind, könnten in Zukunft (etwa 2050) bis zu 80 Prozent der Planung und Organisation automatisiert ablaufen. KI-gestützte Systeme erstellen Entwürfe, optimieren Budgets, koordinieren Lieferketten und steuern sogar Bauroboter – der Bauherr wird zum Dirigenten eines KI-Orchesters. Natürlich funktioniert dieses Szenario nur, wenn auch die Verwaltung mitzieht und Bauanträge nicht mehr wochenlang auf Schreibtischen liegen, sondern ebenso von einer KI geprüft und genehmigt werden. Wenn das gelingen sollte, dann bauen wir vielleicht bald schneller Häuser und Gewerbeimmobilien, als heute Garagen geplant werden.

 

In dieser neuen Realität werden viele klassische Bauunternehmen zur Plattform, zur Tech-Company, zum Lebensraumgestalter. Es entstehen neue Ökosysteme und Allianzen, die diese Bauindustrie profitabel und nachhaltig gestalten; die große volkswirtschaftliche Überschrift heißt „Industrie 6.0“. Alle Anbieter sind smart miteinander vernetzt, Aufträge werden in wenigen Minuten ausgeschrieben und vergeben, eine faire Marge im Einklang mit gesellschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen.

 

Für die Bauwirtschaft bedeutet das: Bildungsinitiativen, Pilotprojekte und neue Formen der Zusammenarbeit sind gefragt. Zwischen Architekt:innen, Startups, Baugewerbe, Förderstellen und der Wissenschaft. Und auch die öffentliche Hand spielt eine Schlüsselrolle: Wenn sie nicht nur regulatorisch reagierte, sondern am Puls der Zeit oder sogar visionär agierte, könnte sie den Umbau der Bauwirtschaft aktiv mitgestalten.

Grenzen und Alternativen der Vision

Dieser Vision sind allerdings ökologische und gesellschaftliche Grenzen gesetzt. Wie viele Menschen können und wollen in Ballungsgebieten leben? Werden Rand- und Landgebiete wieder attraktiver, wenn Remote Work im dominierenden Dienstleistungssektor zum Standard wird? Wie gut muss die Verkehrsinfrastruktur sein, um das Mobilitätsbedürfnis der Menschen und Wirtschaft effizient zu befriedigen? Wie viel Verlust von Artenvielfalt verträgt unsere Landwirtschaft noch, bis Versiegelungsgrenzen und Industrieemissionsgrenzen ihren Zenit überschreiten?

Die Bauwirtschaft muss sich eher Gedanken machen, wie die neuen Mittel auf Bauen im Bestand angewandt werden können. Und: Welche Geschäftsmodelle in Zukunft entstehen. Der heilige Gral der Branche ist eine Einrichtung, die effizient Bestandsgebäude entweder einem Retrofitting-Makeover unterzieht und es klimaneutral macht; oder, falls unvermeidbar, eine Roboterflotte, die ein ganzes Gebäude beim Abriss vollautomatisch zerlegt, jedes Material sortiert, recycelt und upcycelt – vom Beton bis zur Kupferleitung. Was heute teuer entsorgt wird, verwandelt sich so in eine profitabel nutzbare Rohstoffquelle und legt den Grundstein für eine echte Kreislauf-Bauwirtschaft.

Fazit: Verantwortung trifft auf Möglichkeiten

Der Bausektor steht am Scheideweg. Wer jetzt mutig vorangeht, kann Technologie als Hebel für ein gerechteres, nachhaltigeres und zukunftsorientiertes Bauen nutzen. Wer abwartet, wird überrollt – von politischen Umwälzungen, wirtschaftlichen Einbrüchen oder globalen Playern mit mehr Innovationskraft.

 

Es geht nicht nur um Dächer über dem Kopf und gebaute Infrastruktur unter unseren Füßen und Rädern, sondern um die Frage, wie wir leben wollen. Und darum, ob wir den Mut haben, unsere gebaute Umwelt als Teil einer lebendigen, lernenden und gerechten Gesellschaft zu denken.

 

Die Zukunft des Bauens ist nicht irgendwo. Sie hat bereits begonnen.

Über den Autor

Kai Gondlach ist Geschäftsführer des Zukunftsinstituts PROFORE in Leipzig. 2024 veröffentlichte das Institut wegweisende Zukunftsszenarien für die Immobilien- und Baubranche in Deutschland im Auftrag des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA e.V.). Kontakt zu PROFORE: www.profore-zukunft.de

 

Gemeinsam mit Juergen L. Sommer ist Gondlach Autor des demnächst bei Haufe erscheinenden Fachbuchs „Wachstum mit Wurzeln“.

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