Interview mit Architektin Prof. Lydia Haack: Wie der Städtebauliche Wettbewerb für das Zechwald-Areal in Lindau entscheiden wurde.
Ob neue Quartiere entstehen, Stadtzentren umgestaltet oder große Bauprojekte realisiert werden – häufig ist ein sogenanntes städtebauliches Wettbewerbsverfahren der Startpunkt. So wie beim Zechwald-Areal in Lindau (Bodensee), wo Rhomberg Bau in einem bislang einzigartig vorbildlichen Prozess gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung und Stakeholdern die Ausschreibungskriterien für den Wettbewerb entwickelt hat und in der Folge eine zukunftsweisende Stadtteilmitte für Lindau-Zech realisieren möchte. Eine entscheidende Rolle im bisherigen Prozess spielte das Preisgericht für den Städtebaulichen Wettbewerb. Es hat die eingereichten Entwürfe geprüft und gewertet.
Doch: Wie läuft das eigentlich ab? Welche Fragen stehen im Raum? Und wie fällt eine Jury Entscheidungen, die langfristig das Gesicht einer Stadt prägen? Wir haben mit Prof. Lydia Haack gesprochen, Architektin und Städteplanerin aus München, die beim Wettbewerb fürs Zechwald-Areal den Vorsitz des Preisgerichts innehatte:
Frau Prof. AA Dipl. Haack: Was ist ein „Städtebaulicher Wettbewerb“? Und warum macht seine Auslobung Sinn?
Ein städtebaulicher Wettbewerb dient dazu, für komplexe städtebauliche Fragestellungen bestmögliche Lösungen zu finden – im Spannungsfeld von Gestaltung, Funktionalität, Nachhaltigkeit und Machbarkeit. Er zeigt unterschiedliche Perspektiven für die Zukunft auf, mithilfe von unterschiedlichen Entwürfen, und sorgt so für eine fundierte Entscheidungsgrundlage für die Entwicklung eines Quartiers. Kurz gesagt: Man will über das formal geregelte Verfahren eines Wettbewerbs nicht die erstbeste, sondern die bestmögliche Idee finden. Im Fall des Zechwald-Areals, wo es um eine grundlegende Transformation gehen sollte, um die Entwicklung eines ehemals gewerblichen Gebiets in die neue Stadtteilmitte, ist das für mich nicht nur die richtige, sondern ich würde sogar sagen, eine alternativlose Entscheidung. Der ausgezeichnete Wettbewerbsentwurf dient nun als Basis für die städtebauliche Rahmenplanung des Gesamtareals und in den Vertiefungsbereichen für die Objektplanung des Hochbaus und der Freianlagen.
Was reizt Sie persönlich an der Arbeit in einem Preisgericht für einen solchen Wettbewerb?
Mich reizt die Kombination aus fachlicher Diskussion, der Verantwortung und natürlich auch der Gestaltungsmöglichkeit. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, sich intensiv mit verschiedenen Konzepten auseinanderzusetzen, Potenziale zu erkennen – aber auch Schwächen zu benennen. Und es ist eine Form der demokratischen Entscheidungsfindung, bei der nicht Einzelmeinungen zählen, sondern am Ende eine gemeinsame Beurteilung.
Nehmen Sie uns bitte einmal mit: Wie läuft eine Jurysitzung konkret ab – von der Begrüßung bis zur Entscheidung?
Nach der Wahl des Vorsitzenden und weiterer Verfahrensformalitäten erfolgt eine Einführung in die Aufgabenstellung und die Rahmenbedingungen durch die Vorprüfung. Das Preisgericht bewertet die Wettbewerbsarbeiten nach den in der Auslobung bezeichneten Vorgaben und den in der Auslobung bekannt gemachten Entscheidungskriterien. Es wählt also die Arbeiten aus, die den Anforderungen der Auslobung am besten entsprechen. Die Jurorinnen und Juroren sehen sich alle Entwürfe zunächst in einer ersten Runde an, wobei hier die Wertung einstimmig erfolgen muss. Es folgen weitere Wertungsrundgänge, bei denen intensiv diskutiert und dann mehrheitlich entschieden wird. So entsteht eine Rangfolge für die Preise und die Entwürfe der engeren Wahl und zuletzt auch die Verteilung der Preise und Anerkennungen. Ziel dabei ist der Konsens, oder zumindest die breite Zustimmung in der Jury. Die Arbeiten der engeren Wahl werden übrigens auch schriftlich beurteilt, also sehr genau begutachtet, bevor die schlussendliche Wertung vorgenommen wird. Die Verfassererklärungen werden erst nach Abschluss des gesamten Prozederes geöffnet, so bleiben die Entwurfsverfasser absolut anonym, es zählt nur das Ergebnis!
Worauf kommt es bei den Einreichungen/bei der Beurteilung der Einreichungen an?
Beim Zechwald-Areal war es zentral, dass ein identitätsstiftendes Quartier entstehen kann, das den Übergang zur bestehenden Bebauung, zum Beispiel auch den Übergang zum Kopernikusplatz, gut meistert. Es ging zudem darum, eine hohe räumliche Qualität und gute Atmosphäre für das neue Wohnquartier zu schaffen. Und darüber hinaus sollten Zukunftsthemen aufgegriffen werden: Wie wird der bestehende Grünraum eingebunden? Wie wird die Erschließung gelöst, wie wird der Verkehr innerhalb des Areals - autofrei oder autoarm - organisiert? Welchen Stellenwert bekommt die soziale Infrastruktur, wie werden die Nachbarschaften organisiert?

Welche Aspekte und inhaltliche Fragen spielen bei der Beurteilung/Urteilsfindung eine Rolle?
Schon in der Auslobung werden Beurteilungskriterien festgelegt, das garantiert Transparenz und Fairness. So zeigt sich die Qualität der Einreichungen in der Einbindung in den Kontext, natürlich in der gestalterischen Qualität der Architektur und der Freianlagen, in der Nutzungsvielfalt und -flexibilität, in ökologischen, energetischen und klimaresilienten Aspekten, Mobilitätskonzepten, sozialen Aspekten und nicht zuletzt der Wirtschaftlichkeit in Bau und Betrieb, auch unter Berücksichtigung der Rhomberg Bau-Systeme. Beim Wettbewerb Zechwald-Areal stand vor allem die Frage im Fokus, wie eine gute Mischung von Wohnen und Gewerbe hergestellt werden kann, also ein urbanes Gebiet, in dem auch der öffentliche Raum gestaltet ist, und zwar für Kinder, für Ältere, für Menschen mit wenig Einkommen, und das mit einem starken Bezug zur Umgebung und zum Landschaftsraum.
Wie werden diese einzelnen Aspekte gewichtet? Und wie schafft man es, die einzelnen Aspekte zum besten Gesamtbild zusammenzufassen?
Ein guter Entwurf ist nie nur in einem Kriterium stark. Es geht darum, ein ausbalanciertes Gesamtbild zu finden. Ein starker städtebaulicher Entwurf mit Schwächen bei der Klimaanpassung ist ebenso problematisch wie ein ökologisch ambitionierter Plan mit funktionalen Mängeln. Als Jury wägt man ab, diskutiert, bringt Fachwissen ein – und bewertet am Ende nicht nur einzelne Aspekte, sondern das Gesamtkonzept.
Gibt es objektive Bewertungskriterien – oder sind Preisgerichte letztlich auch von persönlichen Vorlieben geprägt?
Es gibt sehr wohl die objektiven Kriterien, die ja bereits in der Auslobung benannt sind, und natürlich Kriterien hinsichtlich Realisierbarkeit und Wirtschaftlichkeit in Bau und Betrieb. Aber natürlich haben alle Experten auch ihre persönliche Sicht auf die Dinge. Die Stärke einer sorgfältig zusammengesetzten Jury liegt darin, dass verschiedene Blickwinkel – gestalterisch, politisch, sozial, ökologisch – aufeinandertreffen und sich gegenseitig austarieren und ergänzen.
Wie wird mit Entwürfen umgegangen, die vielleicht besonders visionär, aber noch nicht vollständig durchdacht sind? Gibt es Raum für Mut zur Lücke?
Wenn es Sinn macht: ja. Gerade beim Zechwald-Areal hatten einige Beiträge einen hohen Innovationsgrad, etwa bei der Mobilität oder der Energieversorgung, ließen aber andere grundlegende Anforderungen außer Acht. Diese Entwürfe wurden nicht sofort ausgeschlossen, sondern intensiv diskutiert: Wo lohnt sich die Weiterentwicklung? Wo ist das Risiko zu groß? Mut wird gewürdigt – aber nicht um jeden Preis.
Wie verändert sich die Diskussion in Preisgerichten durch aktuelle Themen wie Klimaschutz, Mobilitätswandel oder den Bedarf an leistbarem Wohnraum?
Diese Themen prägen mittlerweile jede Diskussion, und das zu Recht. Ein Entwurf, der heute eingereicht wird, muss zukunftsfähig sein. Klimaschutz ist dabei kein Add-on, sondern integraler Bestandteil. Ebenso ist der Bedarf an leistbarem Wohnraum eine der drängendsten Fragen, und das bedeutet: soziale Infrastruktur, kluge Dichte, gute Aufenthaltsqualitäten für alle.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft städtebaulicher Wettbewerbe – werden sie weiterhin ein probates Mittel der Quartiers- und Stadtentwicklung sein? Wenn nicht: Was wünschen Sie sich stattdessen?
Ich bin überzeugt: Wettbewerbe bleiben ein zentrales Instrument, gerade in Zeiten, in denen die Anforderungen an den Städtebau immer komplexer werden. Sie ermöglichen es, unterschiedliche Lösungsansätze sichtbar zu machen, Innovationen zu fördern und qualitätsvolle städtebauliche Konzepte im offenen Vergleich zu entwickeln. Wichtig dabei ist aber immer eine gute Auslobung. Sie bildet die Grundlage für das Verfahren. Es ist von unschätzbarem Wert, wenn alle Beteiligten – Auslober, Stadt, weitere Beteiligte und auch das Preisgericht – in die Erarbeitung eingebunden werden und sich mit allen Rahmenbedingungen gründlich befassen. Auch die Beteiligung der Anwohner- und Nachbarschaft ist ein wichtiger Schritt, der vor Beginn jeder Planung erfolgen sollte. Ich glaube, dass das gute Ergebnis dieses Verfahrens auch dadurch mitbestimmt wurde, dass genau so ein Beteiligungsprozess stattgefunden hat.
Wie ist insgesamt der Stellenwert solcher Wettbewerbe im Bundes-/Ländervergleich?
Wir sehen in Bayern, dass die Anzahl der Wettbewerbsverfahren sinkt – das macht uns nicht glücklich, ist jedoch auch der Konjunktur geschuldet, und im bundesdeutschen Vergleich stehen wir noch immer sehr gut da. Ich freue mich besonders, dass der Wettbewerb für das Zechwald-Areal privat ausgelobt wurde, das waren 2024 nur 20 Prozent aller von der Bayerischen Architektenkammer registrierten Wettbewerbe. Und ich bin sicher: Es war eine kluge, zukunftsweisende Entscheidung, die Ergebnisse sprechen für schließlich für sich…
Über die Gesprächspartnerin
Prof. AA Dipl. Lydia Haack, Architektin, Stadtplanerin
Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer
Lydia Haack studierte Architektur in München und in London und beendete ihr Studium, für das sie ein Stipendium des DAAD erhielt, an der renommierten Architectural Association School of Architecture. Seit 1996 ist sie Partnerin im Büro Haack + Höpfner Architekten und Stadtplaner BDA, München, und seit 2011 Professorin für Entwerfen und Konstruieren an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Konstanz. Im ASAP - Akkreditierungsverbund für die Studiengänge der Architektur und Planung e.V. - ist sie seit 2016 tätig und seit 2020 Stellvertretende Vorsitzende. Prof. Lydia Haack ist Mitglied im Gestaltungsbeirat Ainring. Seit 25. Juni 2021 ist sie Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer und Mitglied des Vorstands der Bundesarchitektenkammer.
Fotocredit: Tobias Hase